STYLE & THE FAMILY TUNES “Police Line - Do Not Cross.”

‘EndCommercial’ - eine Stadt sucht ihren Mörder. Wolfgang Scheppe, Florian Böhm und Luca Pizzaroni untersuchen wie Christoph Schäfer die kommerzielle, fiktionalisierte Ikonografie; als zumindest zeitweiliger Teil des kommerziellen Bildproduktions-Corps in Form der Kreativ- und Werbeagentur SBA, die Böhm und Scheppe 1993 gründeten, mit einer dem Verständnis dienenden, doppelspionagischen Absicht. Ein System ist entstanden, innerhalb dessen über die mediale Sicht- oder Unsichtbarkeit ausnahmslos aller Dinge entschieden wird: Das System des “Bildes aller Bilder”, des Metabildes. Wäre es nicht so vertrackt, könnte man sagen, “EndCommercial’ kennt seine Feinde. Dennoch ist der Konsument nicht nur als potentieller Käufer, sondern bereits vorher, als Lieferant und Entwickler für die zur kommerziellen Bildproduktion nötigen Inhalte und Weltanschauungen unabkömmlich. Diese Codes eignet sich der Produzent an, und so ist der Konsument, der Privatmensch, gezwungen, seine Zeichen immer hermetischer zu kodieren, um sich dieser Enteignung irgendwie zu entziehen. Die dokumentarische Bildproduktion, wie sie die Künstlergruppe ihrem Projekt zugrunde legt, ist zwar unentbehrlich, da sie eine Art Fahrgestell für Fiktion bildet, sie bleibt aber abgenutzt. “Es scheint, dass eine dem Medium unmittelbar entsprechende Kategorie des mimetischen Bildes der Hegemonie des aufgeladenen, kommerziellen Bildtypus gänzlich zum Opfer gefallen ist”, so Wolfgang Scheppe,”sie ist historisch geworden. Ein Ikonoklasmus der Moderne, der unbemerkt geblieben ist.” Das Bildbild ist gestorben. Der vermeintlich reale Raum ist eine besetzte Zone, jede Art von autonomer Bildherstellung ist zu einer virtuellen Öffentlichkeit gezwungen. “EndCommercial’ funktioniert wie eine botanische oder ethnologische Studie: Einer durchsichtigen Welt, die wir wegen ihrer scheinbaren Banalität nicht wahrnehmen, wird durch Dokumentation eine Typologie verliehen. Aus einem langsam gewachsenen Archiv von derzeit 60.000 Bildern, das urbane Phänomene vorerst zusammenhangslos zeigt, offenbart sich bei genauerer Betrachtung eine Grammatik von alltäglichen Sprachsystemen, die es ermöglichen, den Status Quo und die Zukunft einer urbanen Wirklichkeit zusammenzusetzen. ‘EndCommercial’ , das bald auch in Buchform erscheint (Hatje Cantz), ist ein Tool, ein Artenbestimmungsbuch, ein ikonografisches Nachschlagewerk. Die Auseinandersetzung mit der kommerziellen, fiktionalisierten Ikonografie, die unsere Städte überzieht, ergibt sich aus der Betrachtung der Zwischenräume. Aus der Nebenökonomie der Straßenhändler und Dosensammler; aus den omnipräsenten, oft zweckentfremdeten Gegenständen: Einkaufswagen, deren Räder nach drei Wochen total abgefahren sind. Milk Crates, die jetzt eben als Stuhl der Straße funktionieren. ‘EndCommercial’ zeigt die unterhalb einer Wahrnehmungsschwelle sichtbaren Ordnungssysteme und Klassenschranken à la “Police Line - Do Not Cross” oder “legale” Graffitis der Bauarbeiter, die sich auch ins Bild schmuggeln, wenn das Motiv eigentlich ein anderes sein soll. Dazu gehört auch das Subsystem “Digital Slum’ (Internet ein Grundrecht?), entstanden durch eine Kampagne der Clinton Administration, die zusammen mit der Unterhaltungsindustrie dafür gesorgt hat, dass die Armen zwar arm bleiben, aber dennoch fast zwangsläufig Zugang zum Netz und zu Content Production Tools erhalten. Leben im Wohnkarton, aber auf Flatrate muss niemand verzichten. Was dabei entsteht, ist eine geschlossene Öffentlichkeit, die organisch entsteht, nicht darauf ausgerichtet ist, gesehen zu werden. “Eine gleichgültige und interesselose Mimetik, die in gewisser Weise nur ein technisches Attribut ihrer Medien ist”, sagt Wolfgang Scheppe. Die Stadt versteckt sich vor sich selbst. Auf den ausgestellten Fototischen in den Kunst Werken liegen Matrixplatten, die dazu zwingen, auf je ein Bild einzurasten. Gleichzeitig weist diese rahmenartige “Sehhilfe” aber darauf hin, dass der Betrachter damit von anderen Bilder absehen muss. Die unüberschaubare Menge der Bilder folgt einem strikten System, geordnet nach den drei Grundkategorien “System”, “Order” und “Identity”, die sich wiederum thematisch in etliche Subkategorien aufspalten.

Neben der fotografischen Arbeit gehören zu ‘EndCommercial’ auch die Filme des italienischen und illegalen USA-Einwanderers Luca Pizzaroni. Ohne Label, um nicht als “Kunstvideos” verstanden zu werden, handelt es sich eigentlich um Interviews auf Film. Zum Beispiel mit Salvatore. Salvatore verdient sein Geld als Nebendarsteller in Mafiafilmen, in denen er immer die gleichen Klischees verkörpert. Wahrscheinlich schon lange. Er ist mit dieser Rolle zu einer Einheit verschmolzen. Man könnte Pizzaronis Video auch als Mafia-Interview verstehen wollen.

Bei einem anderen Video handelt es sich um einen Zusammenschnitt aus Archivmaterial, der verschiedenste Bewohner des Stadtbiotops einfängt. Jugendliche mit einem Hang zum Wrestling, Pro Life Demonstranten mit “Abortion Is Murder!” Schildern, Tänzer. Er zeigt, wie diese Communities versuchen, die Öffentlichkeit für ihr Anliegen medial zu nutzen, obwohl das abgesehen von kommerzieller Nutzung nicht mehr möglich ist. Keiner würde dieses Material als “Öffentlichkeit” verstehen, eine Übertragung findet nicht statt. “Perceptional Thinking” - nachdem man gemerkt hat, dass man Dinge sieht, die man nie wahrgenommen hat, kann man beginnen, sich darauf zu konzentrieren, was man sieht. Sehen und Denken stehen in keinem Widerspruch. Man darf soweit gehen: Sehen und Erkennen. Wenn ein Bild Authentizität sucht, sucht es heutzutage wahrscheinlich sich selbst. Wenn ein Werbespot die Harmonie schwarzer und weißer Vorstadtkids beim Street-Basketball transportieren will, dann stört ein dritter, nicht zweckgebundener Dokumentar. Er ist in diesem Bild das Indiz für Kommerzialität, nicht das geplante Bild und auch kein bisschen ‘realer’ als das Schönretouchierte. Der Spiegel im Spiegel. ‘Sich schön machen fürs Portraitfoto’ heißt eben nicht mehr nur Klunker umlegen und gut kämmen. Braucht man, um “Realität’ oder ‘Identität’ feststellen zu können, wirklich Internetanschluss? Und welche Realität kann ‘EndCommercial’ per ‘Schnappschuss’ dann eigentlich festhalten? Immerhin die, die uns täglich umgibt: Die Welt in den Augen des Künstlers ist dann auch nicht künstlicher. Hinsehen!