Die Allgegenwart der kommerzialisierten Fiktion verwirklicht sich vor unseren Augen. Die generalisierte und omnipräsente Fiktion der kommerzialisierten Bilder- und Vorstellungswelt hat ein eigenes Regelwerk und Wertesystem geschaffen, innerhalb dessen über die mediale Sicht- oder Unsichtbarkeit ausnahmslos aller Dinge entschieden wird.

Die kommerzielle, fiktionalisierte Ikonografie, unterscheidet sich wesentlich von anderen Bildtypen: Die Botschaft und die Bedeutung des Bildes sind festgelegt, in der Funktion des Bildes als einem Geschäftsmittel. Am Anfang des fiktionalisierten Bildes steht die Geschäftsbeziehung, ein Kontrakt, der festlegt, welche kommerziellen Interessen verfolgt werden. Das kommerzielle fiktionalisierte Bild muß, um die definierte Funktion zu erfüllen, eine Reihe von Widersprüchen in sich vereinen, die seinen besonderen Charakter ausmachen und Hinweise darauf liefern, wie es zur Universalisierung seiner Prinzipien kommen konnte.

Die kommerzielle, fiktionalisierte Ikonografie ist, wie andere Systeme auch, ein selbstreferenzielles System, dass aber alle, nicht nur die genuin mit Bildern arbeitenden Systeme der Produktion von Bedeutung überlagert und an sich bindet. Diese Form der Bildproduktion ist also das Referenzsystem aller Formen von Imagination. Von allen existierenden Bildtypen hat die kommerzielle und fiktionalisierte Ikonografie sich durchgesetzt, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, ihr Sieg ist ein totaler: Das System kommerziell produzierter und genutzter Bilder ist das Bild aller Bilder, und dieses Metabild installiert und materialisiert sich überall.

Alle anderen Typen von Bildern erhalten ihre Bedeutung nur noch innerhalb dieses Systems bzw. werden diesem zugeführt. Auch das Erinnerungsfoto der privaten Massenfotografie oder das journalistische Bild erhalten ihren Stellenwert nur innerhalb dieses Systems. Diese dokumentarischen Bildtypen haben sich völlig abgenutzt, obwohl sie unentbehrlich sind: Sie sind der maschinelle Unterbau zur Aufrechterhaltung des Diktats der kommerziellen Fiktion, ein unreflektiertes Repertoire an Abbildung, gleich einem alltäglichen, ewig wiederkehrenden Bestätigungsritual.

Nahezu jeder Aspekt gesellschaftlichen Lebens ist der Dramaturgie dieser Bildproduktion nachgestellt, deren Tendenz die radikale Expansion ist, darin bestehend, jede Äußerung sozialen Lebens ihrer Semantik, Grammatik und Rhetorik zu unterstellen und in kommerzielle Verwertungszusammenhänge einzubinden.

Die traditionelle Kategorie der Manipulation als erklärender Bezugsrahmen für die kommerzielle Ikonografie ist eine Lüge: Das Abhängigkeitsverhältnis ist ein Mechanismus in umgekehrter Richtung. Der Produzent mit seinen Interessen ist abhängig von verbindlichen Ideologien auf der Seite des Konsumenten. Die Fiktionalisierung wird also notwendig geleitet von existierenden Weltanschauungen und Trends. Das kommerzielle Industrie-Subjekt, der Auftraggeber, kann kein Interesse haben, neue ideologische Inhalte durchzusetzen, er würde dabei seine Adressaten, den Kunden, verlieren. Der Hersteller und der in seinem Auftrag arbeitende Bildproduzent sind auf das Wissen um die jüngsten weltanschaulichen Entwicklungen existentiell angewiesen. Diese Abhängigkeit führt so weit, dass das Produkt dabei zeitweilig bis zur Selbstentäußerung entfremdet wird, d.h. keinerlei Ähnlichkeit mehr zwischen dem Produkt und seiner Darstellung besteht. Die werbetreibenden Subjekte gehen über den Versuch, sich aktuellen Weltanschauungen anzudienen um sie zu benutzen, soweit, dass sie die Basis ihres eigenen Geschäftsinteresses aus Opportunismus zu negieren beginnen.

Konservative Institutionen wie Banken und Versicherer etwa neigen dazu, scheinbar der Jugendkultur kompatible Stilwelten abzubilden, deren Plausibilisierung die Legitimation für eben diese Institutionen aufhebt. Ihre Selbstdarstellung fängt dann an, der Selbstähnlichkeit zu entbehren.

Die kommerzielle Ikonografie kann somit ausschließlich auf bestehende Weltanschauungen reagieren und sie mitsamt ihren Widersprüchen in Bildern formulieren, um einen identifikatorischen Moment herzustellen. Diese Weltanschauungen müssen möglichst außerhalb ihres selbstreferentiellen Systems entstanden sein, um kurzfristig den Anschein von Authentizität produzieren zu können.

Bestimmte Gruppen werden also ihrer authentisch produzierten Weltanschauungen, Bilder und Codes, also ihrem primären Eigentum durch den Zugriff der Kommerzialisierung enteignet, sie werden regelrecht zerstört und sind gezwungen, sich neuen Inhalten zuzuwenden, neue Codes zu erarbeiten und diese immer hermetischer zu verschlüsseln. Diese verschlüsselten Codes sind das wahre Objekt des Begehrens der Konsumgüterproduzenten. Unter den Vorzeichen paradigmatischen Wachstums im Sinne von Wirtschaftswachstum und Innovation erhöht sich die zyklische Frequenz dieses Zugriffs und der Enteignung ständig. Es gibt also ein vorrangiges Interesse der kommerziellen Ikonografie, die Zusammenhänge einer konstituierenden, selbstorganisierten Bildproduktion aufzuspüren, sich diese anzueignen und massenhaft zu vervielfältigen. Das kommerzielle fiktionalisierte Bildsystem funktioniert über die Besetzung solcher Territorien und der massiven Multiplikation und Ausbreitung der Zeicheninventare. Dieser Schritt wird, analog zur Produktion der Bilder selbst, über Ausschlußverfahren erreicht.

Das einmal etablierte Bild ist universal, und was nicht mehr ins Bild passt, wird verworfen, entfernt. Diese Gesetze materialisieren sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wie etwa der Stadt, in denen die Geltungsmacht der kommerziellen Bild- und Bedeutungsproduktion sich durchgesetzt hat. Das dabei Ausgeschlossene findet ab sofort auf Territorien statt, die außerhalb des Wirkungskreises dieses Referenzsystemes liegen, die durch keinerlei Bilder belegt und gekennzeichnet sind, also unsichtbar sind und so gut wie gar nicht stattfinden.

Welche Gesetze liegen der kommerziellen Ikonografie zugrunde, die diese Generalisierung der Fiktionalisierung und ihre ökonomische Territorialisierung rechtfertigen? Die kommerzielle/ fiktionalisierte Ikonografie wird in ihrer Totalität bestimmt von einem außerästhetischen Kodex und einem notwendig widersprüchlichen und tautologischen Apparat von Management-Direktiven aus verschiedenen arbeitsteilig organisierten Feldern des Kapitals. Die Vereinbarung dieser eigentlich unvereinbaren Forderungen machen den besonderen Charakter des fiktionalisierten, kommerziellen Bildes aus, und sie sind in jedem Resultat dieser Produktion ablesbar.

  1. Die Industrie beauftragt zunächst die Herstellung der Veranschaulichung eines sogenannten Einzigartigen Produktvorteils - so der Branchenterminus. Dieser Produktvorteil ist seiner Paradoxie wegen von großer Bedeutung, da das gewöhnliche Produkt immer durch das des Mitbewerbers am Markt notwendig substituierbar ist, also mitnichten einzigartig. Der Grund für die Unique Selling Proposition ist also deren Abwesenheit. Die fiktionalisierte Ikonografie muss diesen Widerspruch auflösen und eine ‘USP’ fingieren.

  2. Die kommerzielle/ fiktionalisierte Ikonografie muß ein Bild des Produkts fingieren, das implizit Bezug nimmt auf das auszuschließende Produkt des Wettbewerbgegners, um als Mittel in der Modifikation des Wettbewerbs praktische Geltung haben zu können. Zugleich aber negiert das Bild des Produkts - weil es das Produkt identifiziert - die Existenz eines korrespondierenden anderen Produkts im Markt - weil dieses sein Bild uniformieren, also unidentifizierbar machen würde.

  3. Die kommerzielle/ fiktionalisierte Ikonografie muß auf das Konstrukt des Bedürfnisses verweisen, das aber zugleich als zahlungskräftige Nachfrage unterstellt werden muß. Das auf Geldmittel verwiesene Bedürfnis negiert aber das Bedürfnis. Die Ikonografie muss also eine Voraussetzungslosigkeit fingieren, die nicht voraussetzungslos ist. Dieser Widerspruch muss unmittelbar ikonische Gestalt annehmen. Das voraussetzunglose Bedürfnis wird z.B. in immer wiederkehrenden Bildern einsamer Inseln, die keinerlei ökonomische Distanz zwischen Produkt und Konsument zulassen, generiert: Das Eis von Langnese oder das Bier von Beck’s hängen ebenso greifbar an den Bäumen wie Kokosnüsse.

  4. Der Produzent dieser Ikonografie muß in seinem Tun notwendig ästhetische Parameter reflektieren. Alle bisherigen Vorgaben allerdings sind ausserästhetische Parameter, die der Produzent ästhetisieren muss. Doch selbst da, wo sie scheinbar ästhetische Parameter sind, bleiben sie ontologische Parameter: ein unmittelbarer Widerspruch, wie er vergleichbar z.B. in der Malerei der Gothik angewendet werden musste: Die Bilder von Heiligenszenen sind durch und durch ontologisch kodifiziert, etwa die Farbe der Kleidung etc. Eine analoge Kodifizierung findet sich nun etwa in der Touristik-Kommunikation, wo z.B. die Farbe von Himmel, Wasser, Strand etc. technisch standardisiert ist. Der ontologische Charakter hebt im Grunde die ästhetische Kategorie auf.

  5. Die kommerzielle/ fiktionalisierte Ikonografie läßt kein selbstreferentielles Eingeständnis ihres Irrealismus zu. Sie beruht auf einer Tautologie: Dem durchgesetzten gesellschaftlichen Konsens, der die Fiktion als realistische Abbildung der ihr vorausgesetzten Ideologien - die selbst Fiktionen sind - nimmt. Wie in der Gothik die Kirche, die Kontrakt-Gewalt über Bedeutungsproduktion und semantische Direktiven hatte, vermag die kommerziell initiierte Bildproduktion ikonologische Standards und deren Exegese gesellschaftlich verbindlich zu machen. Sie funktioniert wie ein Parasit, der als symbiotischer Partner auftritt und zu jedem Individuum ein persönliches Verhältnis aufbaut, dass gleichzeitig ein Massenphänomen ist und sich so unendlich reproduziert. Diese Definitionsgewalt über die Bilderwelt existiert jedoch nur so lange, wie es den Körper, also Weltanschauungen gibt, die sie ihrer Bilder enteignen kann.